Lieber Graf Stürgkh! - Schreiben von Kaiser Franz Joseph - 4. Juli 1914

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Lieber Graf Stürgkh! - Schreiben von Kaiser Franz Joseph - 4. Juli 1914

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Zur Kenntnis gebracht vom k.k. Statthalter im Erzherzogtume Österreich unter der Enns Bienerth:
Seine k.u.k. Apostolische Majestät haben das nachstehende Allerhöchste Handschreiben allergnädigst zu erlassen geruht: Lieber Graf Stürgkh! Tief erschüttert stehe ich unter dem Eindruck der unseligen Tat, die Meinem innig geliebten Neffen mitten aus einem, ernster Pflichterfüllung geweihten Wirken an der Seite seiner hochherzigen, in der Stunde der Gefahr treu bei ihm ausharrenden Gemahlin dahingerafft und Mich und Mein Haus in schmerzlichste Trauer versetzt hat.
Wenn Mir in diesem Leid ein Trost werden kann, so sind es die ungezählten Beweise warmer Zuneigung und aufrichtigen Mitfühlens, die Mir in den eben verflossenen Tagen aus allen Kreisen der Bevölkerung zugekommen sind.
Eine verbrecherische Hand hat Mich des lieben Anverwandten und treuen Mitarbeiters, hat schutzbedürftige, dem zartesten Alter kaum entwachsene Kinder All' dessen, was ihnen auf Erden teuer war, beraubt und ein namenloses Weh auf ihr unschuldsvolles Haupt gehäuft.
Der Wahnwitz einer kleinen Schar Irregeleiteter vermag jedoch nicht an den geheiligten Banden zu rütteln, die Mich und Meine Völker umschlingen, er reicht nicht heran an die Gefühle inniger Liebe, die Mir und dem angestammten Herrscherhause aus allen Teilen der Monarchie aufs Neue in so rührender Weise kundgegeben wurden.
Sechseinhalb Jahrzehnte habe Ich mit Meinen Völkern Leid und Freuden geteilt, auch in den schwersten Stunden stets eingedenk Meiner erhabenen Pflichten, der Verantwortung für die Geschicke von Millionen, über die ich dem Allermächtigen Rechenschaft schulde. Die neue schmerzliche Prüfung, die Gottes unerforschlicher Ratschluß über Mich und die Meinen verhängt hat, wird in Mir den Vorsatz stärken, aus dem als recht erkannten Wege bis zum letzten Atemzug auszuharren, zum Wohle meiner Völker. Und wenn ich dereinst das Unterpfand ihrer Liebe als kostbarstes Vermächtnis Meinem Nachfolger hinterlassen kann, so wird dies der schönste Lohn Meiner väterlichen Fürsorge sein.
Ich beauftrage Sie, Allen, die sich in diesen kummervollen Tagen in bewährter Treue und Ergebenden um meinen Thron geschart haben, Meinen tiefempfundenen Dank kundzutun.
Wien, am 4. Juli 1914
Franz Josef m. p.

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1914
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Österreichische Nationalbibliothek - Austrian National Library
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